[TÜ] Kurzer Nachbericht zur 8. Mai Kundgebung + Rede des OTFR

Am 8. Mai haben wir, das Offene Treffen gegen Faschismus und Rassismus Tübingen und Region gemeinsam mit der Antifaschistischen Aktion [Aufbau] Tübingen und vielen Tübinger und auch Reutlinger Gruppen zu einer Kundgebung anlässlich des 75. Jahrestags der Befreiung vom Faschismus an der Macht aufgerufen. Trotz Corona-Virus konnte diese statt finden und es beteiligten sich fast 400 Personen aus unterschiedlichen Spektren der antifaschistischen und antimilitaristischen Bewegung. Es wurde darauf geachtet, das Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten, in dem Mindestabstände durch Klebeband am Boden eingezeichnet wurden und die Teilnehmer*innen aufgefordert wurden, Mundschutz zu tragen. Auch wir haben uns mit einem Redebeitrag an der Bündniskundgebung beteiligt, welchen wir unten angehängt haben. Es sprachen außerdem der ver.di-Landesvorsitzende Martin Gross, eine Vertreterin der VVN-BdA, die Informationsstelle Militarisierung Tübingen und die Gesellschaft der Kultur des Friedens. Begleitet wurde die Kundgebung durch kurze Liedbeiträge 2er Tübinger Künstler.

Bereits im Vorhinein zum 8. Mai wurden Antifaschist*innen in der Stadt kreativ aktiv. So benannten wir am 19. April, dem Tag der Befreiung Tübingens, die Eberhardsbrücke in die „Brücke der Befreiung“ um und heute haben wir in der ganzen Stadt verteilt Wandzeitungen zur Befreiung vom Faschismus an der Macht gesichtet.

Es ist für uns klar, dass wir auch in Zukunft den 8. Mai in Tübingen als einen Tag feiern werden, an dem die Herrschaft des Faschismus beendet wurde und an dem wir allen Menschen gedenken, deren Leben durch den Faschismus ausgelöscht wurde. Aber wir wollen auch denen gedenken, deren Opfer nötig war, die Macht des Faschismus zu brechen. Dies wollen wir uns zur Mahnung nehmen, auch im Hier und Jetzt konsequent gegen Rechte und Faschisten auf die Straße zu gehen, besonders in einer Zeit, in denen sich Faschisten offen an der Seite von ImpfgegnerInnen und VerschwörungstheoretikerInnen an Kundgebungen beteiligen und eine plurale Rechte versucht die Sorgen um aktuelle Freiheitseinschränkungen zu instrumentalisieren.

Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!

Im Folgenden unser Redebeitrag:

Liebe Antifaschist*innen und Antifaschisten,

liebe Passant*innen und Passanten, heute feiern wir den 75. Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Faschismus an der Macht! Ein Tag des Erinnerns und des Mahnens! Aber auch ein Tag, an dem wir in die Gegenwart und in die Zukunft schauen und uns unserer Verantwortung bewusst werden müssen. Unserer Verantwortung, dafür zu sorgen, dass Faschisten und andere Rechte nicht an Macht und Einfluss gewinnen dürfen. Wir vom Offenen Treffen gegen Faschismus und Rassismus für Tübingen und Region haben deshalb, gemeinsam mit anderen Initiativen und Gruppen, dazu  dazu aufgerufen, heute auf die Straße zu gehen.

Der 8. Mai ist für uns ein Tag, um den Opfern des Faschismus zu gedenken. Über 6 Millionen Jüdinnen und Juden wurden, getrieben vom fanatischen Hass der deutschen Faschisten, industriell ermordet. Unzählbare Sinti und Roma, Homosexuelle, Menschen mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung, oder von den Faschisten als „asozial“ Bezeichnete wurden von den Faschisten ermordet. Und wir vergessen auch nicht, wen die Faschisten von Anfang an angegriffen haben. Sozialdemokrat*innen, Gewerkschafter*innen, Anarchist*innen und Kommunist*innen waren unter den ersten, die in die KZ entführt und ermordet wurden. Menschen, die nicht in das völkische, von Rassenwahn geprägte Weltbild der Faschisten passten, sowie jeglicher politischer Widerstand sollten komplett vernichtet werden.

Der 8. Mai ist für uns ein Tag, um allen zu danken, die den Faschismus bekämpft und schlussendlich auch besiegt haben. All jenen, die politischen Widerstand geleistet haben, die die Kriegsmaschinerie der Nazis sabotierten, die Menschen vor den Nazis versteckt oder zur Flucht verholfen haben. Und auch nicht zuletzt all jenen, die für die militärische Niederlage der Faschisten gesorgt haben und so dem Faschismus an der Macht ein Ende bereitet haben.

Der 8. Mai ist für uns auch ein Tag an dem wir uns erinnern, wer die Verantwortung dafür trägt, dass die Faschisten die Macht ergreifen konnten. Die Unterstützung der Wirtschaft und reaktionärer Eliten in Militär und Staatsapparat war für die faschistische Bewegung notwendig, um die Macht zu erlangen. Ein Tag an dem wir uns erinnern, dass die Faschisten seit 75 Jahren nicht mehr an der Macht, aber immer noch da sind. Es existiert eine faschistische Kontinuität in Justiz, Verwaltung und Politik in der Bundesrepublik. Exemplarisch genannt sei an dieser Stelle Hans Filbinger. Filbinger war von 1966 bis1978 Ministerpräsident in Baden-Württemberg und zur Zeit des Faschismus an der Macht aktives Mitglied der NSDAP und in seiner Funktion als Marinerichter für die Hinrichtung von Menschen verantwortlich. Oder Hans Gmelin, in der Zeit des Faschismus an der Macht unter anderem aktives NSDAP Mitglied und SA-Standartenführer. Von 1954 bis 1974 dann Oberbürgermeister von Tübingen. Beide sollen an dieser Stelle stellvertretend für unzählige Faschisten stehen, die auch nach 1945 bedeutende Posten in der Politik einnahmen und für eine personelle sowie politische Kontinuität des Faschismus in der Geschichte der BRD sorgten. Deshalb sprechen wir beim 8. Mai 1945 vom Ende des Faschismus an der Macht, nicht aber vom Ende des Faschismus. Denn faschistische Strukturen und Ideologie existieren damals wie auch heute.

Der 8. Mai ist für uns aber auch ein Tag an dem wir in die Gegenwart und in die Zukunft schauen. Wir sehen: Halle, Hanau, Lübcke, Thüringen. Wir sehen den NSU 2.0, das Hannibal Netzwerk, die AfD. Wir sehen einen Supermarkt in Bayern, der letzte Woche niedergebrannt wurde. Einen türkischen Supermark in einem Ort, in dem zuvor ein türkisches Restaurant und ein Friseurladen von Rechten angegriffen wurden. Wir sehen keine Einzeltäter, sondern rechten Terror der Kontinuität hat, der sich gegenseitig anstachelt und der vernetzt ist. Wir sehen zwar nicht den Faschismus, der kurz davor ist die Macht zu ergreifen, aber wir sehen, es ist jetzt an der Zeit die Parole „Nie wieder“ nicht zu einem Lippenbekenntnis verkommen zu lassen, sondern zu einem Versprechen zu machen. Es ist eine Zeit, in der der Widerstand gegen Rechts an Dringlichkeit gewinnt und wir uns aktiv mit der Geschichte auseinander setzen und aus ihr lernen müssen, damit sie sich nicht wiederholt. Wir stehen in der Tradition der Antifaschist*innen, denen wir heute danken und gedenken. Wie schon sie wollen wir uns auch heute mit all unserer Kraft den Rechten entgegenstellen. Dabei wollen wir nicht vereinzelt und voneinander losgelöst bleiben, sondern gemeinsam, solidarisch und organisiert den Kampf gegen Rechts angehen.

Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist auch unsere Losung, der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit auch unser Ziel!

Danke!